Zwei Wochen im guineischen Dorf

Zwei Wochen im Dorf bedeutet zwei Wochen ohne Strom, ohne fliessendes Wasser (das habe ich zwar auch in meinem Haus in Gaoual nicht), ohne Toilette, nur von pular-sprechenden Personen umgeben, zweimal am Tag Reis, absolut keine Privatsphäre – aber dafür etwas Internetempfang.

Mit meiner Freundin Salimatou* (siehe Blogeintrag „Rice to go“) und ihren beiden Jungs (ca. 1,5 und 6-jährig) fuhr ich eines schönen Montags mit dem Taxi in ihr Dorf zu ihrer Familie. Zur Taxifahrt gibt es diesmal jedoch keine grosse Geschichte, obwohl es die gleiche Strecke ist, die ich im Blogeintrag vom Mai beschrieb. Diesmal nehme ich euch einen Tag lang mit ins Dorf. Wenn man im Dorf ankommt, glaubt man sich in einem grossen Maisfeld. Folgt man den kleinen Fusswegen, erscheinen immer wieder Rundhütten und ab und zu ein Ziegelhaus.

Sobald es hell wird (ausser wenn es regnet, dann verzögert sich alles) stehen meine Freundin und ihre Mama auf und fachen das Feuer an. Nach und nach stehen auch die jüngeren Geschwister und die Kinder von Salimatou auf. Alle putzen sich die Zähne vor dem Haus mit Wasser aus dem Giesskännchen. Wer braucht schon einen Wasserhahn? Das Giesskännchen wird zum Zähneputzen, zum Hände und Füsse waschen, zum gleich noch einen Schluck trinken und zum auf die Toilette gehen benutzt. Das heisst, eine Toilette gibt es ja gar nicht. Für die kleineren Bedürfnisse verschwindet man einfach mit dem Giesskännchen in der Hand hinters Haus, für grössere Geschäfte hinter den Zaun.

Nun beginnt die Tagesroutine. Die Frauen und Mädchen wischen den Hof, putzen die Terrasse und waschen das Geschirr ab. Die Knaben lassen die Ziegen und die Hühner, die über Nacht eingesperrt sind, ins Freie. Zwischendurch werden die Kinder herum geschickt, um dies und das zu holen und bringen. Wenn die morgendlichen Arbeiten verrichtet sind, wird gefrühstückt: der aufgewärmte Reis vom Vortag und Brot mit Mayonnaise und Schwarztee für den weissen Gast. Irgendwann lässt sich auch der Vater blicken, der vom ersten Gebet in der Moschee zurückkehrt. Anschliessend geht er mit einigen Kindern auf’s Feld, um Erdnüsse anzupflanzen. Dies dauert jedoch nicht sehr lange und es bleibt genug Zeit zum Nichtstun. Die Mama wäscht derweil die dreckigen Kleider – von Hand natürlich.

Am späteren Morgen mache ich mich mit der Mama und Salimatou mit Baby auf dem Rücken auf den Weg, um Verwandte zu grüssen. Alle machen sich Sorgen darüber, ob der weisse Gast wohl so weit laufen kann, denn es müssen weite Strecke zu Fuss über Stock und Stein und Hügel zurückgelegt werden. Trotz mehrmaliger Versicherung, dass es in der Schweiz auch Berge gibt und ich auch schon weit gelaufen bin, bleiben die Zweifel. Verschwiegen habe ich, dass ich in der Schweiz zum Wandern Wanderschuhe trage und nicht Flip Flops und Wickeljupe. Bei den Verwandten angekommen, werden wir herzlich willkommen geheissen, tauschen die üblichen Begrüssungsfloskeln aus, setzen uns kurz hin, essen hier und da etwas Reis und machen uns auf zur nächsten Grossmutter der Tante, Mutter des Mannes der kleinen Schwester oder dem Onkel der Mutter der Frau des grossen Bruders.

Zurück zu Hause wird gekocht. Inzwischen ist es bereits 14 Uhr. Es gibt Reis (was denn sonst?) mit Maniokblättersauce. Ich begleite Salimatou zum Feld, wo wir die Blätter pflücken. Dann begeben wir uns in die Küche. Bei Sonnenschein besteht die Küche aus einem Feuer im Freien mit drei grossen Steinen rund herum, um die Pfanne aufzusetzen. Bei Regenwetter wird in einer kleinen Rundhütte gekocht ebenfalls auf dem Feuer. Nachdem das Feuer angemacht wurde, wird Wasser aufgesetzt und der Reis gewaschen und gekocht. Da es nur ein Feuer gibt, wird die Sauce erst aufgesetzt, wenn der Reis fertig gekocht ist. Dafür müssen die Blätter gewaschen, geschnitten und gekocht werden. Nach und nach kommen die weiteren Zutaten dazu. Zum Schluss gibt Salimatou einen grossen Schuss rotes Palmenöl dazu, das in keiner Sauce fehlen darf. So wird es 16 Uhr bis wir das Mittagessen zu uns nehmen können. Alle weiblichen Personen und die kleineren Kinder essen aus der einten Schüssel, der Vater und die Jungs aus einer anderen. Gegessen wird von Hand. Und zwar mit der rechten Hand, die linke Hand wird für andere Geschäfte gebraucht. Bei uns in der Schweiz sagt man den Kindern: „Iss langsam, du hast Zeit, es nimmt dir niemand das Essen weg.“ Hier jedoch werden die Kinder dazu angehalten, schnell zu essen. Sonst ist die gemeinsame Platte leer, bevor der eigene Magen voll ist.

Mit vollem Magen lässt sich nicht arbeiten und so liegen bald alle irgendwo auf einem Bett, einer Matte oder einfach am Boden. Bald ist jedoch Zeit Wasser zu holen, um sich zu waschen. Wenn das Regenfass nicht voll ist, müssen die Frauen oder Kinder einen hügligen Weg unter die Füsse nehmen, um an einer Quelle Wasser zu schöpfen. Das Fitnessprogramm sieht hier etwas anders aus: Einen 20 l Kübel Wasser über 1 bis 2 Kilometer auf dem Kopf tragen. In der Zwischenzeit haben die Jungs vom Dorf mit einer Steinschleuder einen Vogel geschossen und braten diesen jetzt voller Vorfreude auf dem Feuer.

 

Wenn es dunkel wird, versammeln sich alle um den Schein einer Taschenlampe im Schlafzimmer. Es wird der restliche Reis vom Mittag gegessen, ausgetauscht, diskutiert, gelacht, gestritten. Wer müde ist, legt sich hin und schläft. Warum legt sich den der weisse Gast nicht auch einfach hin? Weil das Zimmer voll ist mit Männern und Frauen und sie ihr Pyjama daher nicht anziehen kann. Doch das versteht hier keiner. Was ist denn bitte schön ein Pyjama? Irgendwann habe ich dann auch herausgefunden, wie man sich geschickt umziehen kann und ich konnte schlafen gehen. Gastfreundlich wie die Guineer sind, hatte ich das ganze Doppelbett für mich, während Salimatou mit ihrem Baby, ihre Mutter und ihre kleine Schwester neben dem Bett auf dem Boden schlafen.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Ruth Schelling (Montag, 08 August 2016 09:08)

    Interessante Geschichten. Von der Gastfreundschaft können wir lernen....Schöne Bilder!