Love your neighbour

Ich versuche einmal etwas zu beschreiben, wie es sich mitten in einer komplett guineischen Nachbarschaft so wohnen lässt.

Unser Haus steht in einem Hof, umgeben von einer Mauer. Hinter denselben Mauern wie wir wohnt eine 9-köpfige guineische Familie: Übrigens, wenn ich von „wir“ spreche, meine ich damit eine Kurzzeiterin und ich. Seit ich hier bin hatte ich schon 5 verschiedene Mitbewohner (darunter ein Ehepaar), also bereits 4 Wechsel. Nun zurück zur guineischen Nachbarsfamilie, die ebenfalls fast Mitbewohner sind. Vor allem die Kinder zwischen 3 und 15 Jahren verbringen viel Zeit auf unserer Terrasse. Zudem bekommen wir ihr Leben hautnah durch unser Wohnzimmerfenster mit: den Geschmack ihres Essen, den Rauch beim Verbrennen des Abfalls, das Krähen ihres zukünftigen Suppenhahns (endlich macht das Lied „Kikeriikii, am Morge am drüü“ Sinn) und das Gackern seines weiblichen Gspänlis, die Besucher zu allen Tages- und Nachtzeiten, das gleichmässige Rauschen des Radios, das die Anwesenheit des Vater verkündigt, die Disziplinarmassnahmen der Mutter, die Trötzeliphase der bald 3-jährigen Tochter, das Rattern der handbetriebenen Brunnenpumpe oder das Plätschern des Wassers bei der allabendlichen Dusche unter freiem Himmel. Immer mal wieder steht ein Familienmitglied vor der Tür und will ein Handy aufladen, zwei, drei Zündhölzli, kaltes Wasser oder etwas Zahnpasta. Speziell an unserer Nachbarsfamilie ist, dass sie aus einem Mann mit nur einer Frau besteht, sie alle ihre Kinder bei sich haben und selber erziehen und keine Kinder von anderen Familien aufgenommen haben. Bei der Beschreibung der weiteren Nachbarn werdet ihr merken, dass dies alles andere als der Normalfall ist.

Tritt man aus unserem Hof entdeckt man die weitere Nachbarschaft, mit der wir ebenfalls täglich zu tun haben. Ein Haus befindet sich direkt vor dem Tor und ein weiteres rechts neben unserem Hof. Ebengenanntes ist recht gross und wird von drei Familien bewohnt. Die erste Familie ist die meiner Freundin Fatoumata. Meine Freundin wohnt zwar inzwischen nicht mehr dort, aber ihre Eltern und drei Geschwister von ihr, zwei jüngere Cousins sowie die zwei Kinder meiner Freundin und noch ein Mädchen, das irgendwie mit ihrem Mann verwandt ist und so etwas wie das Kindermädchen der Familie ist. Die zweite Familie ist die des Brotverkäufers. Er wohnt mit seinen zwei Frauen und den insgesamt vier Kindern, wobei diese Zahl bald erhöht wird, im gleichen Haus.  Zwischenzeitlich wohnt auch die Schwiegermutter noch bei ihnen. Die dritte Familie stammt aus der Waldregion, gehört also nicht zum Volk der Peul und wohnt erst seit kurzem hier. Der Mann arbeitet im Militär und ist gerade weg für eine sechsmonatige Weiterbildung. Zurück bleibt die Frau mit zwei kleinen Kindern und einem anvertrauten Teenie-Mädchen, das nicht zur Schule geht und dafür zu Hause helfen muss.

Nun noch zum Haus, das sich vor unserem Tor befindet: Auch hier leben zwei Familien, die ebenfalls aus der Waldregion stammen. Sie sind Anfangs Schuljahr nach Gaoual gezogen, weil die beiden Familienväter in unserer ActionVIVRE-Schule unterrichten. Die einte Familie besteht aus einem Ehepaar, ihren zwei eigenen Kinder und der kleinen Schwester der Frau. Das zweite Ehepaar hat noch keine eigenen Kinder (aber bald :)), ist dafür aber mit der Grossmutter und drei Cousins (oder etwas ähnliches) hergezogen.

 

Wenn ihr jetzt keine Ahnung mehr habt, wer wie wo wohnt und mit wem verwandt ist, geht es euch nicht anders als mir zu Beginn. Ich brauchte meine Zeit bis ich etwas den Durchblick hatte und mit jeder neuen Kurzzeiterin wird mir wieder bewusst, wie kompliziert die Familienkonstellationen hier sind. Und dies waren nur die unmittelbaren Nachbarn – wohlgemerkt.

 

Ein Teil der "Spielgruppen-Gang"
Ein Teil der "Spielgruppen-Gang"

Aus den drei eben beschriebenen Häusern stammt denn auch unsere „Spielgruppen-Gang“ – wie ich sie nenne. Sie besteht aus neun Kindern im Alter zwischen 2-4 Jahren. Seit einigen Wochen haben sie nun entdeckt, dass sie auch ohne ein grosses Geschwister an meinem Tor anklopfen (oder besser gesagt wie hier üblich „Gong Gong“ rufen) und um Spielsachen bitten können. Welch Freude, wenn wir ihnen ein Mätteli und eine spärliche Kiste mit Duplos rausgeben. Die einten muss ich regelmässig nach Hause schicken, weil sie „unten-ohne“ auf unserer Terrasse auftauchen. Die Guineer stört dies nicht, doch mir gefällt dies weniger. Schwieriger wird es, wenn es Zeit zum Aufräumen ist, weil Madame Naemi gerne mal etwas Ruhe hätte. Vor allem die Jüngsten verstehen die Regeln noch nicht ganz und wollen sie vor allem nicht befolgen. Sie bleiben dann einfach auf der Terrasse stehen und sagen: „Mi yahata!“ (= Ich gehe nicht!). So kam es schon vor, dass ich ein Kind nach dem anderen zum Hof raustragen und dann schnell das Tor schliessen musste, bevor alle wieder drinnen waren. Doch die grösseren Kinder haben es auch gelernt und so bin ich zuversichtlich, dass auch die Kleinen irgendwann meine Regeln widerstandslos akzeptieren werden. ;) Trotz all dem liebe ich meine Nachbarn einfach – ganz nach dem Motto Love your neighbour.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Ruth Schelling (Samstag, 29 April 2017 12:49)

    Sehr interessant, und super Föteli

  • #2

    Myriam Schneider (Samstag, 03 Juni 2017 04:04)

    Kein Wunder dass die Kinder immer bei Dir sein wollen !!! Da läuft doch immer was! ;) Sehr interessant!!!