Koffer im Streik

Ich bin jetzt schon ein paar Mal in meinem Leben mit dem Flugzeug gereist. Am Startflughafen checkt man die Koffer ein und vertraut darauf – oder hofft vielleicht viel mehr – dass das Gepäck am Zielflughafen ankommt. Jedes Mal wenn ich am Gepäckband stehe und darauf warte, dass ich meinen Koffer erblicke, beschleicht mich die leise Befürchtung, dass es mein Gepäck vielleicht diesmal nicht geschafft haben könnte. Doch bis jetzt ist immer alles gut gegangen und ich konnte jeweils mit all meinen Habseligkeiten den Zoll durchqueren.

 

Bis jetzt … Denn bei der nächsten Reise sollte sich dies ändern. Nach einem schönen Sommer in der Schweiz mache ich mich an einem Dienstag im August voller Abschiedsschmerz und Wiedersehensfreude auf die Rückreise nach Guinea. Nichts ahnend checke ich am Tag der Reise meine zwei Koffer in Zürich ein - vollgepackt mit Bücher und Spielzeug für den Kindergarten, Geschenke für meine guineischen Freunde und natürlich ein bisschen Käse, Schoggi und Wurst.

 

Kurze Zeit später sitze ich selber im Flugzeug und die Reise geht los. In Brüssel muss ich umsteigen. Ich erfahre, dass an diesem Flughafen gerade gestreikt wird und ahne bereits Schlimmes. Mit etwas Verspätung können wir doch nach Conakry weiterfliegen und kommen auch gut an. Am Gepäckband in Conakry bange ich dieses Mal mehr als sonst. Ein Koffer nach dem anderen gleitet an mir vorbei und wird von seinem Besitzer entgegen genommen. Bis kein Koffer mehr auf dem Band erscheint. Meine Befürchtungen sind also eingetroffen. Doch ich bin nicht die einzige. Zusammen mit etwa einem Dutzend anderen enttäuschten und zum Teil empörten Passagieren quetsche ich mich in ein kleines Büro, um eine Koffer-Vermisstmeldung aufzugeben. Mit dem Zweifinger-System tippt der Angestellte langsam alle Angaben der anwesenden Personen in den Computer: Die Nummer des Gepäckcoupons, die Flugnummer auf dem Ticket, Farbe, Grösse und Form des Koffers, Name, Telefonnummer und Adresse des Passagiers. Während ich in der Warteschlange stehe, krame ich bereits die geforderten Dokumente hervor, überlege mir, ob ich nach 6 Wochen in der Schweiz meine guineische Telefonnummer noch auswendig weiss, vergewissere mich, ob ich die richtige Adresse unseres Gästehauses im Kopf habe und schaue auf dem Plakat an der Wand nach, welches der vielen Kofferbilder am ehesten meine Koffer wiederspiegelt. So bin ich bereit, wenn dann ich an die Reihe komme, so meine Überlegung. Für meine guineischen Leidensgenossen ist jedoch Effizienz ein Fremdwort. Bei jedem neuen Passagier geht’s also von vorne los: „Ach so, das Ticket muss ich vorweisen. Moment, wo hab ich das schon wieder? Adresse? Die weiss ich nicht auswendig. Ich rufe schnell jemanden an. Wie der Koffer aussieht? Mmh, vielleicht wie auf dem dritten Bild links oben? Oder nein, doch eher wie das Bild eins darunter, aber in blau. Oder ist er vielleicht grau? Auf jeden Fall ist er gross.“ Und so weiter und so fort. Endlich bin ich an der Reihe, sage ruck zuck meine Angaben und kann endlich den Flughafen verlassen.

Zum Glück habe ich alles Nötige im Handgepäck für die ersten Tage. Am Donnerstag – so rechne ich fest damit – werden dann ja meine Koffer mit dem nächsten Flug aus Brüssel ankommen. Voller Hoffnung rufe ich also am Donnerstagabend im Gepäck-Büro vom Flughafen Conakry an. Leider seien meine Koffer nicht angekommen, heisst es. Ich solle am Sonntag wieder anrufen, wenn das nächste Flugzeug aus Brüssel angekommen ist. Inzwischen habe ich im Internet herausgefunden, dass die Gepäcktransporter in Brüssel gestreikt haben an besagtem Dienstag und 15 000 Koffer in Brüssel liegen geblieben sind. Meine Hoffnungen, dass die Koffer mich bald erreichen, schwinden. Glücklicherweise bin ich sowieso noch gut 2 Wochen in Conakry und es landen also noch einige Flüge aus Brüssel in Conakry. So rufe ich also jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntagabend erwartungsvoll im Gepäck-Büro an und werde jedes Mal enttäuscht. Nach fast zwei Wochen, unzähligen Anrufen auf dem Büro in Conakry (langsam kenne ich bereits alle Mitarbeiter dort) und weiteren Anrufen in Brüssel und bei der Airline (die mir überhaupt nicht weiterhelfen konnten), kommt endlich ein Koffer an. Bis zu meiner Weiterreise nach Gaoual, werden noch zwei Flüge aus Brüssel ankommen. Ich bin zuversichtlich, dass der zweite Koffer noch ankommt. Doch leider ist dem nicht so. Ich reise also mit nur einem Koffer nach Gaoual. Glücklicherweise befinden sich in diesem Gepäck die meisten Geschenke für meine Nachbarn und Freunde. In Guinea ist es nämlich üblich, dass man etwas mitbringt, wenn man von einer grösseren Reise kommt. Es wäre undenkbar, dass ich aus der Schweiz zurück komme ohne Geschenke.

 

Am Tag nach unserer Ankunft in Gaoual, erfahre ich, dass nun auch mein zweiter Koffer in Conakry eingetroffen ist. Ein Mitarbeiter von SAM global holt ihn am Flughafen ab und kann ihn noch am gleichen Tag einem bekannten Taxifahrer mitgeben, der gerade in Conakry ist und nächstens wieder nach Gaoual fährt. Ich bin erleichtert und erwarte, dass mein Koffer in den nächsten Tagen ankommt. Zwei Tage später ist der Taxifahrer also unterwegs. Nach einer Tagesreise sollte er in Gaoual sein. Doch ich warte vergeblich auf einen Anruf des Taxifahrers. Irgendwann erfahre ich, dass er in einer Stadt auf halber Strecke stecken geblieben ist. In dieser Stadt wird gestreikt, alle Strassen sind verbarrikadiert, es gibt in beide Richtungen kein Durchkommen. Die jungen Leute wollen endlich den von der Regierung versprochenen Stadtstrom und gehen darum auf die Strasse, demonstrieren und randalieren. Die Guineer nennen dies einen Streik, obwohl sie wohl eher gewaltsame Demonstrationen meinen. Niemand mehr verlässt das eigene Haus, der Markt findet nicht statt und auf dem Taxi-Bahnhof sind angeblich hunderte Auto’s voll mit Passagieren (und meinem Koffer) gestrandet, die nicht mehr weiterfahren können. So geht das mehrere Tage. Die Aussicht meinen Käse und meine Wurst (die sich natürlich in diesem Koffer befinden) in essbarem Zustand vorzufinden, habe ich längst aufgegeben. Die Sorge für die Menschen in dieser Stadt – es gibt sogar zwei Tote – überwiegt. Etwa vier Tage später schickt die Regierung einen grossen Stromgenerator, die Strassenblockaden werden aufgehoben, die Botschaft, dass mit Gewalt etwas erreicht werden kann, im ganzen Land verbreitet und die Taxi’s können wieder fahren.

So wird mir dann mein zweiter Koffer bis vor die Haustür geliefert. Dies kommt ja schon fast dem Standard vom Schweizer Flughafen gleich, wenn man das kleine Detail weglässt, dass es fast einen Monat dauerte. Wie auch immer – „Dieu merci“ ist schlussendlich all mein Gepäck unversehrt angekommen - abgesehen von Käse und Wurst.

 

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